Liebe Leserinnen und Leser,
vor genau einer Woche bin ich in Bratislava angereist, wollte mich in ein buntes Europameisterschaftsabenteuer mit mitreißenden sportlichen Leistungen und einer womöglich überraschenden deutschen Nationalmannschaft stürzen. Es kommt mir vor, als sei es eine Ewigkeit her. Die Stimmung ist gekippt, eine
Corona-Schockwelle hat die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) überspült, in grauer Tristesse zurückgelassen. Auf einmal kam es, wie es nicht kommen sollte: Der sportliche Wert dieser EM geriet in den Hintergrund, die ungeliebte Corona-Berichterstattung nahm eine raumgreifende Bedeutung ein.
Im Mittelpunkt steht dabei ausgerechnet die deutsche Mannschaft, die es mit mittlerweile zwölf positiven Fällen und
elf nachnominierten Akteuren am härtesten getroffen hat. Seit Sonntag überschlagen sich die Ereignisse täglich, zuweilen stündlich, und sogar ein vorzeitiger
Rückzug vom Turnier war für den DHB zwischenzeitlich nicht ausgeschlossen, scheiterte letztlich aber auch an drohenden Regressforderungen des europäischen Dachverbandes EHF in siebenstelliger Höhe - pro abgesagtem Spiel.
Keine schönen Nachrichten also aus dem Quartier von Patrick Wiencek, (mittlerweile auch) Rune Dahmke und Co. in Bratislava. Die Spieler befinden sich im Falle der Infizierten in angeordneter Quarantäne, die anderen in prophylaktischer Isolation, absolvieren ihr Videostudium virtuell, treffen sich nur zur Abfahrt zum Training oder zum Spiel. “Extrem frustrierend” findet der ehemalige Kieler und aktuelle Bundestrainer Alfred Gislason das alles, der seit Februar 2020 im Amt ist und seitdem dauerhaft vom Coronavirus ausgebremst und sabotiert wird. Wie soll nun ein Hauptrunden-“Doppelpack” mit den Spielen gegen Spanien (
Donnerstag, 18 Uhr, Liveticker auf KN-online) und Norwegen (Freitag, 20.30 Uhr) gelingen? Zunächst einmal mit immer mehr Nachnominierungen. Tobias Reichmann, David Schmidt und Lukas Stutzke waren die letzten drei, die am Mittwoch und Donnerstag in der slowakischen Hauptstadt eintrafen. In der Heimat findet das nicht jeder gut. “Es macht keinen Sinn, jeden Tag drei bis fünf neue Spieler nachzuladen, wenn neue Fälle auftreten”, sagte der Kieler Uwe Schwenker, Präsident der Handball-Bundesliga. Auch THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi wirft einen
sorgenvollen Blick in Richtung Slowakei, rechnet mit Bundesliga-Spielabsagen im Februar nach dem Re-Start.
Zahlen also die Vereine am Ende die Zeche? Und wie geht es Ihnen eigentlich? Hoffentlich sind Sie gesund! Haben Sie Spaß an dieser EM? Ich finde, dass bei all den strategischen Erwägungen um Quarantäne-Fristen und Nachnominierungen gar nicht mehr berücksichtigt wird, dass das Coronavirus noch immer eine gefährliche Krankheit auslösen kann. Mir ist der ganze Blick auf die Problematik zuweilen viel zu sportstrategisch. Das habe ich auch in meinem täglichen
EM-Tagebuch “Briefe aus Bratislava” zum Ausdruck gebracht.
Während ich das hier schreibe, scheint eine Verlegung des Spanien-Spiels am Donnerstagabend vom Tisch. Gislasons “Young Guns”, die auf einmal gar nicht mehr so jung sind mit Jogi Bitter im Tor und so manchem Nachnominierten, müssen also ran gegen den ausgebufften Europameister. Aber nageln Sie mich nicht drauf fest! Das kann sich alles schnell wieder ändern.
Nichtsdestotrotz: Viel Spaß beim Spiel! Und passen Sie in diesen unruhigen Zeiten gut auf sich und Ihre Lieben auf!
Ihr
Tamo Schwarz
THW-Reporter